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Scientology - Zeltwerbung in Innenstädten

von Claudia Kern

Fast jeder hat sie schon einmal gesehen oder zumindest von ihnen gehört: Die Scientology-Organisation erlangte in der letzten Zeit Aufmerksamkeit durch das Aufstellen von gelben Zelten in Fußgängerzonen und Plätzen im Innenstadtbereich. Dort bieten sie neben zahlreichen (teilweise auch kostenpflichtigen) Informationsmaterialen auch "Beistand" an. Die interessierten Passanten legen sich auf bereit gestellte Liegen und der "Beistand" erfolgt dann durch Streichen mit den Fingern entlang der Nervenkanäle, die von der Wirbelsäule abzweigen. 1

In diesem Zusammenhang wurden dem Sekten-Info Essen e.V. vor allem folgende Fragen gestellt:
  1. Darf Scientology diese Zelte in Fußgängerzonen und auf öffentlichen Plätzen aufstellen?

  2.  
  3. Stellt der "Beistand" eine Heilbehandlung dar, die nach dem Heilpraktikergesetz einer Erlaubnis bedarf?

 

Aufstellen der Zelte im Innenstadtbereich

Ob und inwieweit das Aufstellen von Werbezelten in Innenstadtbereichen erlaubt ist, richtet sich nach den jeweiligen Landesstraßengesetzen. Hier in Nordrhein-Westfalen ist das Straßen- und Wegegesetz (StrWG NRW) anzuwenden.

Grundsätzlich ist die Straßennutzung im Rahmen des Gemeingebrauchs jedem gestattet. Gemeingebrauch ist die jedermann zustehende Befugnis, die Straßen im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften zum Verkehr zu benutzen (§ 14 Abs. 1 StrWG NRW).

Als problematisch hat sich dabei in Innenstadtbereichen die Definition von Verkehr herausgestellt. Gerade in Fußgängerzonen gibt es neben dem "normalen" Fußgängerverkehr auch noch Straßenkunst, Verteilung von Flugblättern, Werbemaßnahmen etc.. Ob diese Nutzungsarten der Fußgängerzonen noch vom Gemeingebrauch umfasst sind und ohne weitere straßenrechtliche Voraussetzungen gestattet werden können, war früher sehr umstritten.

Mittlerweile hat die Rechtsprechung für diese Bereiche jedoch den Begriff des kommunikativen Straßenverkehrs geprägt.2 Danach dienen öffentliche Wege nicht nur der Fortbewegung und Ortsveränderung, sondern sind auch Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte.3 Jedoch sind diese kommunikativen Kontakte nicht der vom Verkehrsbegriff umfasste Hauptzweck, sondern sie stellen allenfalls einen Nebenzweck der Straßennutzung dar. Daher werden unter anderem regelmäßige und planvolle Aktionen nicht unter den Begriff des kommunikativen Straßenverkehrs fallen.4

Die Rechtsprechung kommt auf dieser Grundlage überwiegend zu dem Ergebnis, dass das Aufstellen von Zelten im Innenstadtbereich kein Gemeingebrauch mehr ist. Als Begründung wurden vor allem die Verkaufsaktivitäten an den Informationsständen herangezogen. Diese mögen zwar nicht Hauptzweck der Werbemaßnahme sein. Aber bei der straßenrechtlichen Beurteilung kommt es auf das äußerliche Erscheinungsbild (hier: Anbieten von Waren zum Verkauf) und nicht auf die innere Zielsetzung an.5

Die Werbenden benutzen den Fußgängerbereich nicht primär zur Fortbewegung und nebenbei zur Begegnung und Kommunikation mit anderen Passanten. Vielmehr nutzen sie die Straßen, um Fußgänger anzusprechen und zu missionieren. Es handelt sich nicht um eine gelegentliche Verbreitung von Meinungsäußerungen, sondern um eine groß angelegte, regelmäßig wiederkehrende Werbe- und Aufklärungsaktion. Dies gilt ebenfalls für die Verteilung von Druckerzeugnissen.6

Das führt im Ergebnis jedoch nicht dazu, dass das Aufstellen der Zelte verboten wäre. Es handelt sich bei dem Zeltaufstellen um eine genehmigungsbedürftige Sondernutzung gemäß § 18 StrWG NRW. Eine Sondernutzung ist eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung der Straße. Die Erlaubnis dazu ist bei der zuständigen Straßenbaubehörde der jeweiligen Stadt oder Gemeinde einzuholen. Die Behörde entscheidet dann, ob die Sondernutzung genehmigt werden kann. Das Zeltaufstellen kann immer in den Fällen verboten werden, wenn keine Sondernutzung beantragt wurde.7

Gegen die Genehmigungsbedürftigkeit wurde von der Scientology-Organisation eingewandt, dass die Notwendigkeit eines behördlichen Verfahrens gegen ihr Grundrecht der Glaubensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, verstoße. Dieses Grundrecht wird grundsätzlich ohne Einschränkung gewährt. Seine Grenzen findet es jedoch dann, wenn bei der Ausübung dieses Grundrechts die Grundrechte anderer Mitbürger beeinträchtigt werden.

Genau diesem Ziel dient jedoch das behördliche Kontrollverfahren der Sondernutzungserlaubnis. Es soll die unterschiedlichen grundrechtlich geschützten Belange, die sich bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums ergeben können, miteinander in Einklang bringen. Die Teilhaberrechte der anderen Passanten an der Straße sollen geschützt werden. Der Zwang, zu diesem Zweck eine behördliche Genehmigung einholen zu müssen, stellt damit keine unverhältnismäßige Belastung der Glaubensausübung dar.8

Vor Aufstellen der Zelte muss die Scientology-Organisation daher einen Antrag auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis bei der entsprechenden Straßenbaubehörde stellen. Im StrWG NRW sind die Voraussetzungen, die zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis führen, nicht geregelt. Deshalb bleibt der Behörde ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob eine Sondernutzungserlaubnis erteilt wird. Dieses Ermessen führt jedoch zu mehreren rechtlichen Problemstellungen.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Erlaubnis in Fällen der Grundrechtsausübung nicht im uneingeschränkt freien Ermessen der Behörde steht. Die Entscheidungsmaßstäbe ergeben sich nach ständiger Rechtsprechung aus dem verfassungsrechtlichen Gebot, gegenläufige, aber gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützte Interessen gegeneinander abzuwägen (z.B. Glaubensfreiheit gegen das Grundrecht der Passanten auf ungehinderte Fortbewegung im Sinne von Art. 1 und 2 GG).9

Also muss vorab geklärt werden, ob sich die Scientology-Organisation überhaupt auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen kann. Dies ist in der Rechtsprechung höchst umstritten.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung festgestellt, dass es sich bei der klagenden Scientology-Organisation nicht um eine Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft handelt und sie sich nicht auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen kann. Grund dafür war die Überzeugung des Gerichts, dass die Scientology-Lehre nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele diene.10

Das Bundesverwaltungsgericht hat dagegen entschieden, dass auch eine erhebliche erwerbswirtschaftliche Betätigung die Berufung auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit nicht ausschließt.11 Um als eine weltanschauliche oder religiöse Organisation zu bestehen, muss eine solche Gemeinschaft die Möglichkeit haben, an finanzielle Mittel zu gelangen. Dabei steht ihr die Art und Weise des Erwerbs frei. Zu einem vollständigen Entzug des Grundrechts aus Art. 4 GG besteht selbst dann kein Grund, wenn die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinschaft eine solche Bedeutung erlangt, dass die gemeinschaftliche Pflege von Religion oder Weltanschauung in den Hintergrund tritt.12

Diese höchstrichterliche Rechtsprechung gibt zwar die Tendenz vor, dass sich die Scientology-Organisation auf das Grundrecht der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 GG berufen kann, lässt aber die ausdrückliche Beantwortung dieser Frage offen.

Eine ähnliche Argumentation ist jedoch auch den Entscheidungen aus dem Bereich des Vereinsrechts zu entnehmen. Lange war umstritten, ob die Scientology-Organisation aufgrund ihrer wirtschaftlichen Betätigung den Vereinsstatus (§ 21 BGB) erlangen kann. Dem wurde jetzt mit der Begründung stattgegeben, dass die religiöse und weltanschauliche Lehre im Vordergrund steht und die wirtschaftliche Betätigung lediglich mitverfolgter Nebenzweck ist.13 Daher ist davon auszugehen, dass sich die Scientology-Organisation erfolgreich auf ihre Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit wird berufen können.

Schließlich stellt sich noch die Frage, inwieweit die Behörde unter Berücksichtigung der gegenläufigen Grundrechte (Glaubensfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht der Passanten) noch eine freie Ermessensentscheidung treffen kann.

Wie gewichtig Gründe sein müssen, die angesichts der vorbehaltslosen Garantie der Glaubensfreiheit die Versagung der Sondernutzungserlaubnis rechtfertigen können, lässt sich nur im jeweiligen konkreten Einzelfall entscheiden. Ergibt die Einzelfallprüfung jedoch, dass die beabsichtigte Straßennutzung weder die durch Art. 2 Abs. 1, Art 3 Abs. 1 GG geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer noch das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 GG) noch andere Grundrechte ernstlich beeinträchtigt, so besteht in aller Regel ein Anspruch auf Erlaubniserteilung.14

Das würde grundsätzlich bedeuten, dass die Behörde kaum noch Ermessensspielraum hätte, eine Sondernutzungserlaubnis zu versagen. An diesem Punkt wird aber noch einmal die wirtschaftliche Betätigung der Scientology-Organisation interessant. Diese lässt zwar nicht den Schutz des Art. 4 GG entfallen, kann aber für die Beurteilung des Störungsgrades des Standes und damit für die Abwägung der gegenläufigen Belange der Straßenbenutzer von Bedeutung sein.15

In vielen Städten und Gemeinden sind zur internen Regelung der Straßennutzungs-Problematik ermessensbindende Satzungen und Richtlinien geschaffen worden. Diese stellen das verallgemeinerte Ergebnis der behördlichen Abwägung der verschiedenen Nutzungsarten mit den Interessen der Passanten dar. Zumeist werden in diesen Vorschriften die Voraussetzungen abstrakt genannt, unter denen eine Erlaubnis zu erteilen ist.

So ist in München die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis im Hinblick auf die bestehende "Richtlinie für Veranstaltungen auf öffentlichem Verkehrsgrund" abgelehnt worden. Die Sondernutzungserlaubnis war nur unter bestimmten Voraussetzungen zu erteilen, die die Scientology-Organisation nicht erfüllen konnte.16

Zusammenfassend stellt sich die Rechtslage damit wie folgt dar:
 

Heilpraktikererlaubnis zur Durchführung des "Beistands"?

Der "Beistand", der im Rahmen der Scientology-Zeltwerbeaktion an Passanten ausgeführt wird, hat äußerlich Ähnlichkeiten mit einer Massage. Die Passanten legen sich auf eine Liege, dann wird der Körper mit den Händen behandelt. Deshalb stellt sich die Frage, ob es sich vielleicht um eine erlaubnispflichtige Heilbehandlung handeln könnte (§ 1 Heilpraktikergesetz).

In der Werbebroschüre zum "Beistand" wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass "Beistand" nicht als Heilbehandlung zu verstehen ist und auch einen Arztbesuch nicht entbehrlich macht. Sie stellt eher eine Ergänzung dar.17 Bei dem "Beistand" wird auf die Einbeziehung des geistigen Seins der Person Wert gelegt.18 Damit handelt es sich nach der eigenen Definition um eine Form des Geistheilens, die mehr einem Ritual ähnelt als einer ärztlichen Behandlung.19

Etwas anderes könnte sich höchstens aus dem äußeren Erscheinungsbild ergeben. Die Ausführung des Beistands sieht einer Massage, also einer anerkannten Behandlungsmethode, sehr ähnlich. Deswegen kann bei Passanten der Eindruck entstehen, eine Heilbehandlung würde durchgeführt.

Dagegen sprechen jedoch bei objektiver Betrachtung mehrere Aspekte. Zunächst nennen sich die Werbenden an den Zelten "Ehrenamtliche Geistliche". Von Geistlichen wird aber eher ein geistiger Beistand als eine Heilbehandlung erwartet. Außerdem findet der "Beistand" in einer Fußgängerzone statt. Damit entspricht er nicht dem äußeren Erscheinungsbild einer Heilbehandlung, die normalerweise in dafür vorgesehenen Räumen stattfindet.

Diese Rechtsfrage nach der Einordnung des "Beistands" ist zwar noch nicht von den Gerichten entschieden worden, aber es ist davon auszugehen, dass der Beistand nicht als Heilbehandlung betrachtet werden kann. Eine Heilpraktikererlaubnis wird daher nicht notwendig sein.

 

Anmerkungen: